Kapitel 11

Während Amalie einige Häppchen auf dem feinen Silber drapierte, dachte sie an gestern und die Dinge, die in kurzer Zeit geschehen waren. Sie wusste, dass Elsa in keiner Weise nachtragend war und hatte heute schon früh bemerkt, dass Elsa ihr nicht mehr böse war.
Sie hatte ein zu sonniges Gemüt, um sich dauerhaft Sorgen zu machen. Wirklich ernsthafte Probleme packte sie stets sofort an, auch wenn sie in einer unsicheren Position war. Bernhard hatte sie heute ebenfalls gesehen und sie hatte sich in seiner Gegenwart sehr unwohl gefühlt. Jetzt, wo sie wusste, dass er ein Interesse an ihr hatte, glaubte sie, dass jede Unverfänglichkeit zwischen ihnen verflogen war und vielleicht ahnte er bereits, dass sie auch wusste, in welchem Zustand er sich befand. Sie hatte noch nie über Bernhard nachgedacht. Er hatte immer so wie Paul und die anderen für sie zum Gesinde dazu gehört und war ihr nie besonders aufgefallen. Amalie zweifelte daran, dass sich das je ändern würde.
Sie spiegelte sich in einem der blank polierten Tabletts, um ihr Haar ordentlich fest zu stecken. Ob sie es ganz feststecken sollte oder ob sie ein paar Strähnen locker auf ihre Schultern legte? Was war richtig? An ihrem Kleid konnte sie wenig ändern. Zwar hatte sie noch ein dunkles Leinenkleid, aber darin sah sie auch an Feiertagen so aus wie jetzt.
Früher hatte sie noch andere Roben besessen. Ihre Mutter hatte stets darauf geachtet, dass Amalie als bürgerliche Tochter wahrgenommen wurde. Sie erinnerte sich besonders an ein Kleid von grünem Taft, das damals für sie als junges Mädchen nicht besonders auffällig gewesen war, das aber so reiche Details besaß, dass die vielen kleinen Perlen und Zierborten in der Sonne und im Kerzenschein schimmerten. Aus diesem Kleid war sie natürlich längst herausgewachsen, aber wenn sie es noch hätte, dann könnte man es vielleicht ändern.
Vielleicht könnte sie später zum Markt gehen. Dort hatte sie doch bereits schöne Stoffe gesehen. Es sollte ja nicht zu feierlich werden, aber immerhin so, dass sie nicht ganz so sehr wie eine Magd aussah. Vielleicht konnte man sie ja dann auch mit den Hofdamen verwechseln?
Nein, so weit wollte sie natürlich nicht gehen. Vorerst achtete sie darauf, einigermaßen gekleidet zu sein und zog eine leichte Strickjacke über ihr Leinenkleid, denn in der Küche war es sehr kühl.

Der Wecker hatte heute sehr früh geklingelt, damit Elsa und Amalie rechtzeitig zur Vorbereitung der feierlichen Verabschiedung des Gesetzes im Fridericianum anwesend waren. Als Amalie zu Elsa in die Küche kam, hatte sie schon etliche Köstlichkeiten vorbereitet. Es sollte kleine Häppchen geben. Solche, wie man sie unter dem alten Kaiser nicht gekannt hatte. Alles in allem war die Gestaltung der Kunstwerke zwar aufwändig, aber sie mussten nicht zwingend warm gehalten werden, was für eine enorme Entspannung beim gesamten Personal gesagt hatte.
Die Art der Kreation sollte französisch sein. Die Zutaten waren deutsch. So hatte Elsa kleine Figuren aus Schwarzbrot geschnitten und mit Wurst und Fisch belegt. Dazu gab es Petersilie, Schnittlauch und sogar etwas Meerrettich, der als Variation zum Senf dienen sollte. Weiteres Gemüse hatte Elsa liebevoll zu kleinen Figuren arrangiert, sodass über die Tatsache hinweg getäuscht werden konnte, dass es sich streng genommen nicht um französische Spezialitäten handelte.
„Mesdames, wie weit seid Ihr denn?“
„Finger weg! Das ist schwierig genug.“ Elsa zischte Marius entgegen, der sich eines der Häppchen bereits geschnappt hatte.
„Hast Du doch gut geschmiert, ordentliche Scheiben hätten aber auch gereicht.“
„Das sind Kanapees!“ Amalie machte einen Einwurf, dem Marius keine weitere Aufmerksamkeit schenkte.
„Machen trotzdem nicht satt, die Dinger.“
Schnell hatte er sich ein Zweites geschnappt.
„Untersteh´ Dich. Wie siehst Du überhaupt aus?“
„Ich soll in Galarobe erscheinen und als Diener Eure Dinger kredenzen.“ Wagemutig begann Marius, eine der Silberplatten auf seinen Fingerkuppen zu balancieren.
„Dafür braucht Ihr nicht mit zu kommen.“
„Wir sollen nicht mitkommen?“ Amalie konnte ihre Enttäuschung kaum verbergen. Zwar hätten Elsa und sie sicher kein geeignetes Kleid, aber Amalie wäre gern dabei gewesen. Das Fridericianum hatte sie noch nie von innen gesehen und sicher war es ein historischer Moment, diesen Ort als Parlament einzuweihen.
„Ihr habt dafür frei, sagt die de Villiers. Das ist doch was. Wir können gerne tauschen.“
„Nee, lass´ mal. Hier, die drei kannst Du schon mitnehmen.“

Museum Fridericianum, Kassel
Museum Fridericianum, Kassel

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